Apollinaire: Le pont Mirabeau
Guillaume Apollinaires "Le pont Mirabeau" - Anmerkungen
Le pont Mirabeau
Sous le pont Mirabeau coule la Seine
Et nos amours
Faut-il qu'il m'en souvienne
La joie venait toujours après la peine
vienne la nuit sonne l'heure
Les jours s'en vont je demeure
Les mains dans les mains restons face à face
Tandis que sous
Le pont de nos bras passe
Des éternels regards l'onde si lasse
vienne la nuit sonne l'heure
Les jours s'en vont je demeure
L'amour s'en va comme cette eau courante
L'amour s'en va
Comme la vie est lente
Et comme l'Espérance est violente
vienne la nuit sonne l'heure
Les jours s'en vont je demeure
Passent les jours et passent les semaines
Ni temps passé
Ni les amours reviennent
Sous le pont Mirabeau coule la Seine
vienne la nuit sonne l'heure
Les jours s'en vont je demeure
Die Mirabeaubrücke
Unter der Brücke fließt die Seine dahin
Und unsere Liebe
Bringt mir Erinnern Gewinn
Nach Tränen füllte stets die Freude meinen Sinn
Komme du Nacht Stunden schlagt
sacht
Die Tage vergehen ich bleibe
stehen
Verbleiben wir zueinander gewandt
Wenn unter der Brücke
Aus Hand und Hand
die Welle ermattet von Blicken seit jeher bekannt
Komme du Nacht Stunden schlagt
sacht
Die Tage vergehen ich bleibe
stehen
Die Liebe schwindet wie das Wasser fließt
Die Liebe schwindet
Wie langsam Leben sich ergießt
Und wie die Hoffnung heftig sprießt
Komme du Nacht Stunden schlagt sacht
Die Tage vergehen ich bleibe
stehen
Die Tage vergehen und die Wochen vergehen
Vergangenes nicht
und auch nicht die Lieben
werden wieder entstehen
Unter der Brücke ist das Fließen der Seine zu sehen.
Komme du Nacht Stunden schlagt
sacht
Die Tage vergehen ich bleibe
stehen
Übersetzung: Frank Freimuth
Eigentlich hieß er Guglielmo Alberto Wladimiro Alessandro Apollinare de Kostrowitzky. Den Namen Guillaume Apollinaire verlieh er sich selbst. Wie man unschwer sieht, besteht er aus französischen Formen von zweien seiner fünf Vornamen. Er wurde in Rom als erstes von zwei Kindern geboren. Der Vater, ein italienischer Offizier, ließ die Familie bald nach Guglielmos Geburt im Stich. Die unternehmungslustige Mutter, Tochter eines polnischen Adeligen, der einst vor den Russen nach Italien geflohen war, zog es bald nach Frankreich, wo Guglielmo aufwuchs und zur Schule ging. Obwohl er ein hervorragender Schüler und sehr belesen war, ging er frühzeitig von der Schule ab, um sich ganz der Dichtung widmen zu können. Ab dem 17. Lebensjahr signierte er seine Gedichte mit Guillaume Apollinaire.
Da das Gedichteschreiben alleine ihn nicht ernähren konnte, nahm er verschiedene Stellungen an, unter anderem als Erzieher im Haushalt der Gräfin Mihau auf einem Schloß in Deutschland. Auch später noch, als er sich in Frankreich bereits einen Namen als Dichter gemacht hatte, klafften in seiner Haushaltskasse oft große Lücken. Er versuchte diese unter anderem mit dem Verfassen erotischer Geschichten zu füllen. Aber auch als Kunstkritiker trat er in Erscheinung, und dies mit beachtlichem Erfolg.
Obwohl er zu Beginn des Ersten Weltkriegs noch nicht französischer Staatsbürger war, meldete er sich freiwillig zur Armee. Erst im März 1916, als er schon an der Front im Einsatz war, bekam er die ersehnte Staatsbürgerschaft. Nur eine Woche nach seiner Einbürgerung wurde er durch einen Granatsplitter schwer am Kopf verwundet. Obwohl nach einem längeren Lazarettaufenthalt noch mit gesundheitlichen Problemen behaftet, nahm er die literarische Arbeit bald wieder auf. Im November 1918 wurde er, geschwächt durch die Kriegsverletzung, ein Opfer der spanischen Grippe.
Das dichterische Programm Apollinaires war das des Surrealismus. Ziel dieser künstlerischen Bewegung war, nicht nur das darzustellen, was wir sehen und kennen, sondern auch das Unbewusste und Traumhafte in das Werk einfließen zu lassen. Der surrealistische Künstler folgte seiner spontanen Eingebung, welche sich ungefiltert im Werk niederschlagen sollte. Nicht nur Dichter, sondern auch Maler wie Georges Braque und Pablo Picasso folgten dieser Vorstellung. Letzterer war ein enger Freund Apollinaires.
Die Mirabeaubrücke (Le pont Mirabeau) ist das bekannteste Gedicht Apollinaires und eines der berühmtesten in der langen Geschichte der Lyrik überhaupt. Der Sprecher, der auf der Brücke steht, wird durch den Lauf des Wassers zu Gedanken über den Verlauf der Liebe angeregt. In der ersten Fassung, die 1912 in einer Zeitschrift erschien, setzte Apollinaire noch Satzzeichen, die dann aber in der endgültigen Fassung von 1913 nicht mehr enthalten waren.
Strophe 1 lässt im Leser das Bild der Brücke entstehen, unter der die Seine hindurchfließt. Es fällt uns leicht, dem daran anknüpfenden Gedanken des Sprechers zu folgen: So wie dieses Wasser, so fließen auch unsere Lieben vorbei und davon. Die Frage nach dem Nutzen des Erinnerns, die sich der Sprecher in der dritten Zeile stellt, ist mangels Satzzeichen mehrdeutig. Der Gegenstand dieser Erinnerungen ist nicht klar bestimmt. Sollen es die Liebesverbindungen sein oder soll es die Tatsache sein, dass nach dem Schmerz auch immer wieder Freude aufkam? Oder vielleicht beides zugleich?
Die letzten beiden Zeilen bilden einen Refrain, der in allen vier Strophen wiederkehrt. Er drückt Wehmut und Trost gleichzeitig aus. Die Tage vergehen unerbittlich, aber die Nacht legt sich tröstlich über die Erinnerungen.
In der zweiten Strophe wird der Reim durch ein herrliches Verschwurbeln des Satzes hergestellt. Dieser beschreibt, mit einem Verweis auf das typische Verhalten von Liebenden auf der Brücke, die Gleichgültigkeit der Natur gegenüber den Menschen und ihren Beziehungsproblemen. Während die Liebenden Hand in Hand einander zugewandt dastehen, ist das Wasser, das unter der Brücke ihrer gefassten Hände hindurchfließt, von den ewig gleichen schmachtenden Blicken nur angeödet.
In Strophe 3 wird der Kerngedanke des Sprechers zunächst noch einmal auf den Punkt gebracht: die Liebe macht sich davon wie das fließende Wasser. In den beiden letzten Zeilen folgt dann ein Gedankensprung. Wie langsam sich doch das Leben dahinziehe, meint der Sprecher, und wie gewalttätig doch die Hoffnung sei. Man kann diese Einschätzung der Hoffnung ganz unterschiedlich deuten. Meint der Sprecher, dass uns die überwältigende Kraft der Hoffnung immer wieder aus der vom Scheitern geprägten Wehmut herausreißt, oder ist er der Meinung, dass die Hoffnung uns als zweifelhafte Kraft immer wieder zu neuen, zum Scheitern verurteilten Amouren verführt? Vielleicht hält er auch beides für zutreffend! Die Deutungen schließen einander nicht aus.
Die letzte Strophe ist ein wehmütiger Rückblick auf die entschwundenen Lieben und die vergangene Zeit. Nichts kann sie zurückbringen. Sie fließen davon wie das Wasser unter der Mirabeaubrücke.
Frank Freimuth