Baudelaire: Le Voyage


Baudelaires Le Voyage - Reisen in der Gruppe

von Frank Freimuth

In Baudelaires Gedichtband Les Fleurs du Mal nimmt Le Voyage eine besondere Stellung ein. Nicht nur ist es das längste Gedicht, sondern auch das letzte. Dass es eine Zusammenfassung der Fleurs sei, wie oft konstatiert wird, möchte ich allerdings nicht unterschreiben, denn die Fleurs sind zu vielseitig und zu vielschichtig, als dass man sie wie einen Fachartikel in einem Abstract zusammenfassen könnte.

Le Voyage ist schwierig zu deuten. Wahrscheinlich ist eine vollständige Ausdeutung sogar unmöglich. Dies liegt gar nicht so sehr an den diversen Bezügen auf antike Mythen, denn diese lassen sich nach­lesen. Schwerer wiegt schon der komplexe Aufbau mit dem wiederholten Hin- und Herspringen zwi­schen verschiedenen Sprechenden, das ohne explizite Hinweise geschieht. Auch wollen nicht alle Teile des Gedichts so richtig miteinander harmonieren.

Le Voyage besteht aus acht Teilen unterschiedlicher Länge, die mit römischen Ziffern bezeichnet sind. Verschaffen wir uns zunächst einen Überblick, indem wir die Teile nacheinander durchgehen!


Le Voyage

À Maxime du Camp

I

Pour l'enfant, amoureux de cartes et d'estampes,
L'univers est égal à son vaste appétit.
Ah! que le monde est grand à la clarté des lampes!
Aux yeux du souvenir que le monde est petit!

Un matin nous partons, le cerveau plein de flamme,
Le coeur gros de rancune et de désirs amers,
Et nous allons, suivant le rythme de la lame,
Berçant notre infini sur le fini des mers:

Les uns, joyeux de fuir une patrie infâme;
D'autres, l'horreur de leurs berceaux, et quelques-uns,
Astrologues noyés dans les yeux d'une femme,
La Circé tyrannique aux dangereux parfums.

Pour n'être pas changés en bêtes, ils s'enivrent
D'espace et de lumière et de cieux embrasés;
La glace qui les mord, les soleils qui les cuivrent,
Effacent lentement la marque des baisers.

Mais les vrais voyageurs sont ceux-là seuls qui partent
Pour partir; coeurs légers, semblables aux ballons,
De leur fatalité jamais ils ne s'écartent,
Et, sans savoir pourquoi, disent toujours: Allons!

Ceux-là dont les désirs ont la forme des nues,
Et qui rêvent, ainsi qu'un conscrit le canon,
De vastes voluptés, changeantes, inconnues,
Et dont l'esprit humain n'a jamais su le nom!

Beginnen wir beim Titel. Es geht offensichtlich in diesem Gedicht um das Reisen, und der Umstand, dass der Titel in Einzahl formuliert ist, spricht dafür, dass es um eine bestimmte Reise geht. Wir werden später darauf zurückkommen und uns zunächst der Widmung zuwenden. Maxime du Camp (1822 - 1894), ein Zeitgenosse Baudelaires, war zu Lebzeiten beim breiten Publikum erheblich bekannter und beliebter als jener. Er hatte sich einen Namen als Lyriker und Reiseschriftsteller gemacht und war ein begeisterter Verfechter des Fortschritts. Damit entsprach er so gar nicht der Einstellung Baudelaires, der nicht gern reiste und der auch abstritt, dass es überhaupt so etwas wie einen Fortschritt gab, der diesen Namen verdiente. Die Widmung ist also, wie übrigens auch die übrigen, die Baudelaire vergab, eher ein verbrämter Piekser als ein Kompliment. Bei jener an du Camp hat sicherlich auch eine Rolle gespielt, dass dieser dem Autor der Fleurs Geld geliehen hatte, das zur Zeit der Fertigstellung des Gedichts noch ausstand.

In Teil I geht es vor allem um die Reisenden und ihre Motive. In der ersten Strophe aber wird zunächst eine kleine Vorschau auf das Kommende gegeben. Für Kinder, welche über ihren Karten und Bildern sitzen, heißt es da, sei das Universum so groß wie die Sehnsucht, in den Augen der Erinnerung aber sei die Welt klein. Ab der zweiten Strophe führt ein Sprecher das Wort, der im Wir-Stil spricht. Er spricht dabei als Vertreter all jener, die im Sinne des Gedichts reisen. Dies dürfte wohl die gesamte Bevölke­rung des Abendlandes sein. Nichtsdestrotrotz ist der Sprecher kein gewöhnlicher Reisender, sondern vielmehr ein unabhängiger Beobachter, der eine gewisse Distanz zu den übrigen Reisenden hält und deren Verhalten kritisch betrachtet. Der Poet, die Kunstfigur, die in vielen Gedichten der Fleurs auftritt, könnte dieser Sprecher sein, aber für das Verständnis des Gedichts ist dies nicht erheblich. Wichtiger ist die Beobachtung, dass der Sprecher nur in den Teilen I, II und VII auftritt. In den übrigen Teilen lässt er andere zu Wort kommen. Doch dazu später.

In den Strophen I-2 bis I-6 werden zwei Gruppen von Reisenden beschrieben, die anhand ihrer Reise­motive unterschieden werden. Was die Reisenden der ersten Gruppe antreibt, sind Unannehmlich­keiten und Verletzungen, die sie in der Heimat hinnehmen mussten: bedrohliche politische Zustände, eine schreckliche Kindheit oder tyrannische und gefährliche Frauen. In Bezug auf letztere benutzt der Sprecher als Metapher die mythische Figur der Zauberin Circe, die einst die Reisegefährten des Odys­seus in Schweine verwandelte. Dem Los, beim Verbleiben im Land zum Tier zu werden, so die Aussage in Strophe I-3, könnten die Opfer solcher Frauen nur durch den Rausch einer Reise entgehen, welcher die Narben der Küsse mit der Zeit verschwinden lasse.

In den letzten beiden Strophen des ersten Teils wird eine zweite Gruppe von Reisenden eingeführt. Sie werden die "wahren Reisenden" genannt. Diese Reisenden, heißt es, brauchten keinen besonderen Grund für ihren Aufbruch, sie reisten um des Reisens Willen. Es zeichne sie ein Fatalismus aus, der sie nie verlasse, und ihre Wünsche hätten die Form von Wolken. Sie träumten von immer neuen, gewal­tigen Wonnen, von denen die Menschheit noch nicht einmal die Namen wisse. Getrübt wird diese wohlwollende Einschätzung der wahren Reisenden durch zwei nicht gerade schmeichelhafte Zuschrei­bungen. Wie der Flug eines Heißluftballons sei ihr Reisen, also wie der eines kaum steuerbaren Flug­körpers, und ihre Träume von immer neuen Wonnen glichen dem Traum eines Rekruten von der Kano­ne. Der Rekrut, das wissen wir, kennt die schmutzige Wirklichkeit des Krieges noch nicht und er weiß auch nicht, welche verheerenden Wirkungen sein Geschütz entfalten kann.

In Teil II setzt der Sprecher seine Ausführungen im Wir-Stil fort. Da er sich nicht explizit auf eine der Reisendengruppen bezieht, gehen wir am besten davon aus, dass er nach wie vor für beide Gruppen spricht. Es geht in diesem Teil vor allem um die Illusionen dieser Reisenden, Illusionen, die offensicht­lich Züge der Verblendung aufweisen.

II

Nous imitons, horreur! la toupie et la boule
Dans leur valse et leurs bonds; même dans nos sommeils
La Curiosité nous tourmente et nous roule
Comme un Ange cruel qui fouette des soleils.

Singulière fortune où le but se déplace,
Et, n'étant nulle part, peut être n'importe où!
Où l'Homme, dont jamais l'espérance n'est lasse,
Pour trouver le repos court toujours comme un fou!

Notre âme est un trois-mâts cherchant son Icarie;
Une voix retentit sur le pont: «Ouvre l'oeil!»
Une voix de la hune, ardente et folle, crie:
«Amour... gloire... bonheur!» Enfer! c'est un écueil!

Chaque îlot signalé par l'homme de vigie
Est un Eldorado promis par le Destin;
L'Imagination qui dresse son orgie
Ne trouve qu'un récif aux clartés du matin.

Ô le pauvre amoureux des pays chimériques!
Faut-il le mettre aux fers, le jeter à la mer,
Ce matelot ivrogne, inventeur d'Amériques
Dont le mirage rend le gouffre plus amer?

Tel le vieux vagabond, piétinant dans la boue,
Rêve, le nez en l'air, de brillants paradis;
Son oeil ensorcelé découvre une Capoue
Partout où la chandelle illumine un taudis.

Strophe II-1 nimmt in einem ausdrucksvollen Bild vorweg, was im Rest dieses Teils näher ausgeführt wird. Mit den Kreiseln und Kugeln werden die Reisenden verglichen, welche von Kindern mit Peitschen angetrieben werden. Wie diese Spielzeuge tanzten und sprängen die Reisenden hin und her, allerdings nicht von Kindern gepeitscht, sondern von der Neugier, die sie plage wie ein grausamer Engel die Son­nen. Man beachte, dass das Wort "Curiosité" entgegen den Sprachregeln groß geschrieben ist. Dies soll ihm besonderes Gewicht verleihen.

Um das Absurde an den Reisen geht es dann in Strophe II-2. Ständig ändere sich ihr Ziel, weil ein ei­gentliches Ziel nicht existiere; der Mensch, der eigentlich Ruhe finden wolle, renne stattdessen wie ein Irrer umher.

In den Strophen II-3 bis II-6 entwickelt der Sprecher eine Allegorie, in der die Seele der Reisenden mit einem Dreimaster verglichen wird, der sich auf der Suche nach "seinem Ikarien" befindet. Ikarien, das sei erwähnt, war nicht nur die Insel, auf der Ikarus bei seinem kühnen Flugversuch den Tod fand, son­dern auch der Name einer von Étienne Cabet (1788 - 1856) in einem Buch ausgebreiteten sozialen und politischen Utopie, vergleichbar mit dem Utopia des Thomas Morus. Der Sprecher beschreibt in diesen vier Strophen aber nicht Ikarien selbst, sondern die ergebnislose Suche danach. Immer wieder ließen verheißungsvolle Ausblicke die Besatzung des Schiffs in Jubel ausbrechen, der kurze Zeit später, wenn sich das Gefundene als Riff herausstellt, der bitteren Enttäuschung Platz mache. Nebenbei ist die Schil­derung von der Fahrt des Dreimasters auch ein Abriss der abendländischen Entdeckungsfahrten, von der ergebnislosen Suche nach dem sagenhaften Eldorado bis zu der Entdeckung Amerikas durch den "betrunkenen Seemann" Christoph Columbus, die in Wirklichkeit nur eine Wiederentdeckung war. Mit einem alten Landstreicher, der mit hocherhobener Nase durch den Schmutz stapft, vergleicht der Spre­cher die seefahrende Seele. In jedem finsteren Loch glaubten dessen verhexte Augen die wundervolle Stadt Capua zu entdecken, deren Schönheiten schon Hannibal genossen hatte.

Mit dieser Bewertung zieht sich der Sprecher zunächst zurück und überlässt anderen das Wort. In Teil III beginnt nämlich ein Dialog, der sich bis zum Ende von Teil VI hinzieht. Es handelt sich um ein Ge­spräch zwischen zwei Gruppen, nämlich zwischen denen, die schon eine Reise hinter sich haben und denen, die noch nicht gereist sind. Wir sprechen der Einfachheit halber von den "Gereisten" und den "Nichtgereisten". Obwohl es sich dabei um Gruppen handelt, sprechen sie so einmütig, als ob es sich um Einzelpersonen handelte. Sie wirken wie Chöre. In III eröffnen die Nichtgereisten den Dialog. Sie bitten die Gereisten, von ihren Reiseerfahrungen zu berichten. Sie wollen durch diese Erzählungen die Reisen nachempfinden oder, wie sie es formulieren, ohne Dampf und Segel reisen. Den Gereisten bringen sie eine fast demütige Ehrerbietung entgegen. Ihre Erwartungen sind hoch, wollen sie doch mit Hilfe der Berichte der Eintönigkeit ihres "Gefängnisses" entfliehen (égayer l'ennui de nos prisons). Woraus dieses Gefängnis bestehen kann, haben wir bereits in Teil I erfahren: aus einer unwirtlichen Heimat, einer schrecklichen Jugendzeit oder zerstörerischen Frauen bei den einen, aus ungestillter Neugier und überbordenden Gelüsten bei den anderen.

III

Etonnants voyageurs! quelles nobles histoires
Nous lisons dans vos yeux profonds comme les mers!
Montrez-nous les écrins de vos riches mémoires,
Ces bijoux merveilleux, faits d'astres et d'éthers.

Nous voulons voyager sans vapeur et sans voile!
Faites, pour égayer l'ennui de nos prisons,
Passer sur nos esprits, tendus comme une toile,
Vos souvenirs avec leurs cadres d'horizons.

Dites, qu'avez-vous vu?

In Teil IV beginnen die Gereisten ihren Bericht. Die insgesamt sieben Strophen lassen sich in drei Ab­schnitte unterteilen. Den ersten davon, der von Strophe IV-1 bis Strophe IV-3 reicht, kann man ver­einfacht in einem Satz zusammenfassen: Obwohl die Reise eindrucksvoll war, hat das Reisen die Ge­reisten nicht zufriedenstellen können. Trotz wundervoller Anblicke kam in ihnen das Gefühl von Ennui auf, also von Eintönigkeit und Überdruss. Selbst der Glanz der Sonne über dem violetten Meer und der nächtliche Schein der Städte ließ nur die Sehnsucht nach etwas noch Schönerem aufkommen. Die reichsten Städte und die großartigsten Landschaften hatten nicht die geheimnisvolle Anziehungskraft, welche vom Zufall geformte Wolken ausströmen.

IV

«Nous avons vu des astres
Et des flots, nous avons vu des sables aussi;
Et, malgré bien des chocs et d'imprévus désastres,
Nous nous sommes souvent ennuyés, comme ici.

La gloire du soleil sur la mer violette,
La gloire des cités dans le soleil couchant,
Allumaient dans nos coeurs une ardeur inquiète
De plonger dans un ciel au reflet alléchant.

Les plus riches cités, les plus grands paysages,
Jamais ne contenaient l'attrait mystérieux
De ceux que le hasard fait avec les nuages.
Et toujours le désir nous rendait soucieux!

- La jouissance ajoute au désir de la force.
Désir, vieil arbre à qui le plaisir sert d'engrais,
Cependant que grossit et durcit ton écorce,
Tes branches veulent voir le soleil de plus près!

Grandiras-tu toujours, grand arbre plus vivace
Que le cyprès? - Pourtant nous avons, avec soin,
Cueilli quelques croquis pour votre album vorace,
Frères qui trouvez beau tout ce qui vient de loin!

Nous avons salué des idoles à trompe;
Des trônes constellés de joyaux lumineux;
Des palais ouvragés dont la féerique pompe
Serait pour vos banquiers un rêve ruineux;

Des costumes qui sont pour les yeux une ivresse;
Des femmes dont les dents et les ongles sont teints,
Et des jongleurs savants que le serpent caresse.»

Der zweite Abschnitt erstreckt sich von IV-4 bis zur Mitte der Strophe IV-5. Er ist vom ersten durch einen Gedankenstrich abgetrennt. Auch die Kernaussage dieses Abschnitts können wir in einem Satz kondensieren: Der Genuss lässt die Wünsche noch mehr anwachsen. Es gibt gibt also keine endgültige Erfüllung von Wünschen. Ein eindrucksvolles Bild wird für diesen Zusammenhang verwendet: ein Baum der Wünsche, der durch das Vergnügen gedüngt wird, dessen Rinde sich durch das Düngen verdickt und härtet und dessen Äste sich noch mehr als vorher nach der Sonne strecken. Zum Schluss des Ab­schnitts dann die rhetorische Frage: wird dieser Baum ewig wachsen, ist er beständiger als die Zypres­sen, also die Symbole des Todes?

Mitten in Strophe IV-5 beginnt dann der dritte Abschnitt. Die Gereisten eröffnen den Nichtgereisten etwas herablassend, dass sie ihnen trotz ihrer enttäuschenden Erfahrungen einige Bilder für ihr "ge­fräßiges Album" mitgebracht hätten. Es folgt bis zum Ende des Teils IV eine Aufzählung von obskuren Dingen, die an kuriose Spielzeuge denken lassen. Götzen mit Rüsseln befinden sich darunter, mit Edel­steinen bestückte Throne, Frauen, die sich Zähne und Nägel färben, und Jongleure, die sich von Schlan­gen liebkosen lassen. Mit anderen Worten: es gibt nichts wirklich Interessantes zu berichten.

Teil V besteht nur aus einer kurzen Frage, mit der die Nichtgereisten die Gereisten ungeduldig zur Fortsetzung ihres Berichts auffordern. Weder die Enttäuschungen der Erzähler noch die Aufzählung der Kuriositäten haben sie verschreckt. Auch die herablassende Art der Gereisten geht spurlos an ihnen vorbei.

V

Et puis, et puis encore?

Die Gereisten reagieren mit Kopfschütteln (Teil VI, erste Zeile), sind sie doch der Meinung, dass es gar nicht so viel Erbauliches zu berichten gäbe. Sie sind jedoch nicht mehr bereit, die Gier nach Kuriosem zu befriedigen. Stattdessen machen sie jetzt Ernst und kommen zum Kern ihrer Erkenntnisse, zum miserablen Zustand der Menschheit. Ohne danach gesucht zu haben, sei man allerorten auf das öde Geschehen der ewigen Sünde gestoßen (le spectacle ennuyeux de l'immortel péché). Dann folgt eine Auflistung von Unarten und Schlechtigkeiten, z.B. sklavische, herausgeputzte und dumme Frauen, tyrannische und gierige Männer, Henker, die beim Töten Lust empfinden, Feste zum Würzen blutiger Taten und das Volk, das die Peitsche liebt und sich von ihr verdummen lässt. Auch die Religionen kom­men nicht gut weg. Sie wollten alle heilig sein, sagen die Gereisten, und das Kasteien ihrer Mitglieder diene auch nur der eigenen Lust.

VI

                     «Ô cerveaux enfantins!

Pour ne pas oublier la chose capitale,
Nous avons vu partout, et sans l'avoir cherché,
Du haut jusques en bas de l'échelle fatale,
Le spectacle ennuyeux de l'immortel péché:

La femme, esclave vile, orgueilleuse et stupide,
Sans rire s'adorant et s'aimant sans dégoût;
L'homme, tyran goulu, paillard, dur et cupide,
Esclave de l'esclave et ruisseau dans l'égout;

Le bourreau qui jouit, le martyr qui sanglote;
La fête qu'assaisonne et parfume le sang;
Le poison du pouvoir énervant le despote,
Et le peuple amoureux du fouet abrutissant;

Plusieurs religions semblables à la nôtre,
Toutes escaladant le ciel; la Sainteté,
Comme en un lit de plume un délicat se vautre,
Dans les clous et le crin cherchant la volupté;

L'Humanité bavarde, ivre de son génie,
Et, folle maintenant comme elle était jadis,
Criant à Dieu, dans sa furibonde agonie:
»Ô mon semblable, mon maître, je te maudis!«

Et les moins sots, hardis amants de la Démence,
Fuyant le grand troupeau parqué par le Destin,
Et se réfugiant dans l'opium immense!
- Tel est du globe entier l'éternel bulletin.»

Nach der vorletzten Strophe von VI bricht die Aufzählung der Sünden ab. In der letzten Strophe gehen die Gereisten mit nur einem Satz auf die "nicht so Dummen" (les moins sots) ein. Sie seien dadurch gekennzeichnet, dass sie den Irrsinn liebten, sich von der ganzen Herde absonderten und sich mit Hilfe von Opium ins Reich des Rausches versetzten. Die letzte Zeile von VI konstatiert abschließend fast geschäftsmäßig, dass dies der Bericht vom Zustand der ganzen Welt gewesen sei.

Mit dem Beginn von Teil VII ist der eingeschobene Dialog beendet und der Sprecher nimmt wieder seine Argumentation auf. Er beginnt mit einer Zusammenfassung des Gehörten. Bitteres Wissen sei es, das man daraus ziehen müsse. Die Welt sei klein, und überall sähen die Reisenden nur ihr eigenes Ebenbild wieder, eine Oase des Schreckens in einer Wüste voll Überdruss. Gedanken, die schon in I-1 und VI-1 anklangen. Danach, ab VII-2, beginnt er eine längere Gedankenspielerei. Ob man überhaupt reisen solle, fragt er sich und gibt auch gleich selbst die Antwort: nur, wenn es unbedingt nötig sei. Ansonsten könne man genauso gut zuhause bleiben. Der eine renne, der andere verkrieche sich, um die Zeit, den wachsamen und tödlichen Feind, zu täuschen. Mit dieser Anmerkung stellt der Sprecher klar, was er für das eigentliche Motiv des Reisens hält, nämlich die Flucht vor der Zeit. Er vergleicht sie mit einem Netzkämpfer, also mit einer besonderen Art römischer Gladiatoren. Diese waren mit einem Netz bewaffnet, mit dem sie den Gegner in der Arena einzufangen trachteten, um ihn hinterher zu töten.

In VII-3 geht der Sprecher noch auf verschiedene Personenkreise ein und wie sie sich im Kampf mit der Zeit gebärden. In Strophe VII-4 beschwört er dann den Zeitpunkt herauf, in dem der Netzkämpfer den Reisenden den Fuß in den Nacken stellt, wenn also der Tod nicht mehr weit ist. Wir seien auch dann bereit zu hoffen, meint er, und die Reise in das Meer der Dunkelheit freudigen Herzens anzutreten, so wie wie wir einst nach China aufgebrochen seien. Er zieht die Mythen von Odysseus und Orest heran, um diese Reise in die Finsternis zu beschreiben.

Bekanntlich hatten Odysseus und seine Männer, die nach dem Trojanischen Krieg durch widrige Winde von ihrer ursprünglichen Route ins heimatliche Ithaka weit abgetrieben worden waren, auf ihrer Irrfahrt ernste Gefahren zu bestehen und viele Hindernisse zu überwinden. Auf den Lotophagen verloren mehrere der Männer nach dem Verzehr berauschender Lotusfrüchte die Erinnerung an die Heimat und mussten von den übrigen gewaltsam zum Schiff zurückgebracht werden. Nach einem langen Aufenthalt bei der Zauberin Circe, mit der Odysseus nach anfänglichen Feindseligkeiten das Lager geteilt hatte, fuhren sie weiter. Dem Rat der Circe folgend stieg Odysseus in die Unterwelt hinab, um den Geist des toten Sehers Teiresias nach dem Weiterweg zu befragen. Später mussten sie noch an der Insel der Sirenen vorbei, die mit ihrem Gesang die Vorbeifahrenden ins Unglück treiben wollten. Die Passage gelang nur, weil Odysseus sich am Mast des Schiffes festbinden ließ und seine Männer sich die Ohren mit Wachs verschlossen.

Im Gedicht vermischt der Sprecher die Episode der Lotophagen mit der der Sirenen und zudem noch mit der Geschichte von Orest, dessen Schwester Elektra und seinem bestem Freund Pylades. In VII-5 hören die Reisenden lockende und düstere Stimmen, die sie animieren, die duftenden Früchte zu genießen und sich einen niemals endenden Nachmittag lang an ihnen zu berauschen. Nicht genug damit, erkennen sie am vertrauten Klang der Stimmen auch noch "ihren Pylades", der ihnen den Arm entgegenstreckt, und "ihre Elektra", die ihnen zuruft, zu ihr zu schwimmen und sich von ihr erfrischen zu lassen.

Weshalb diese Assoziationen mit der altgriechischen Mythologie? Es sind vor allem drei Dinge, welche der Sprecher damit der abschließenden Reise zuschreibt. Da ist zunächst die Aussicht auf Heimkehr, auf ein Zurück zu den Wurzeln. Genauso bedeutsam scheinen mir aber die Hinweise auf die Wieder­kehr aus dem Reich der Toten zu sein, wie sie Odysseus der Sage nach gelang, und auf das Wiedersehen mit den lieben und vertrauten Menschen, die man schon verloren glaubte. Es sind dies Hoffnungen, welche nicht nur Gegenstand alter Sagen sind, sondern die auch von der christlichen und von anderen Religionen genährt werden.

VII

Amer savoir, celui qu'on tire du voyage!
Le monde, monotone et petit, aujourd'hui,
Hier, demain, toujours, nous fait voir notre image:
Une oasis d'horreur dans un désert d'ennui!

Faut-il partir? rester? Si tu peux rester, reste;
Pars, s'il le faut. L'un court, et l'autre se tapit
Pour tromper l'ennemi vigilant et funeste,
Le Temps! Il est, hélas! des coureurs sans répit,

Comme le Juif errant et comme les apôtres,
À qui rien ne suffit, ni wagon ni vaisseau,
Pour fuir ce rétiaire infâme; il en est d'autres
Qui savent le tuer sans quitter leur berceau.

Lorsque enfin il mettra le pied sur notre échine,
Nous pourrons espérer et crier: En avant!
De même qu'autrefois nous partions pour la Chine,
Les yeux fixés au large et les cheveux au vent,

Nous nous embarquerons sur la mer des Ténèbres
Avec le coeur joyeux d'un jeune passager.
Entendez-vous ces voix charmantes et funèbres,
Qui chantent: «Par ici vous qui voulez manger

Le Lotus parfumé! c'est ici qu'on vendange
Les fruits miraculeux dont votre coeur a faim;
Venez vous enivrer de la douceur étrange
De cette après-midi qui n'a jamais de fin!»

À l'accent familier nous devinons le spectre;
Nos Pylades là-bas tendent leurs bras vers nous.
«Pour rafraîchir ton coeur nage vers ton Electre!»
Dit celle dont jadis nous baisions les genoux.

In Teil VIII wird dann die letzte Reise zur Handlung, die der Sprecher in seinen Gedankenspielen von Teil VII schon vorweggenommen hatte, aber auf eine ganz andere Art. Denn nun kommt wieder der Chor der Unbelehrbaren zu Wort, den wir schon aus dem Dialog in den Teilen III bis VI kennen. Reisen­de, die dem Tode nahe sind, begeben sich freudig erregt auf diese letzte Fahrt. Geradezu euphorisch fordern sie "den alten Kapitän Tod" auf, die Anker zu lichten. Auch wenn Himmel und Meer so schwarz wie Tinte seien, seien ihre Herzen voller Strahlen. In die kühle Tiefe wolle man hinabtauchen, weil das Hirn von so viel Feuer brenne. Ob es Himmel oder Hölle sei, was dort warte, sei egal. Hauptsache, es sei etwas Neues.

VIII

Ô Mort, vieux capitaine, il est temps! levons l'ancre!
Ce pays nous ennuie, ô Mort! Appareillons!
Si le ciel et la mer sont noirs comme de l'encre,
Nos coeurs que tu connais sont remplis de rayons!

Verse-nous ton poison pour qu'il nous réconforte!
Nous voulons, tant ce feu nous brûle le cerveau,
Plonger au fond du gouffre, Enfer ou Ciel, qu'importe?
Au fond de l'Inconnu pour trouver du nouveau!


Das Reisen in Le Voyage

Der Verlauf des Geschehens, von den Träumen des Kindes bis zur letzten Fahrt in den Tod, suggeriert, dass die Reise des Titels keine einzelne der vielen Reisen ist, die wir alle im Laufe unseres Lebens ma­chen, sondern dass es sich um die Lebensreise selbst handelt, das Leben als Reise gesehen. Natürlich enthält diese Lebensreise auch touristische Reisen, bei manchen auch Entdeckungsreisen. Es sind dies Reisen, die oft lange dauern und eine große Bedeutung für das Leben des Menschen haben. Im Gedicht tauchen sie an vielen Stellen auf. Aber sicherlich denkt sich der Autor ein Menschenleben nicht nur aus solchen Reisen zusammengesetzt. Wir dürfen deshalb die touristische Reise und die Entdeckungsreise als Metaphern für Handlungen auffassen, bei der ein Mensch sich bewusst anschickt, Altes aufzugeben um sich etwas Neues zu erschließen. Dass dies nicht nur einmal in einem Leben geschieht, sondern immer wieder, ist im Aufbau des Gedichts berücksichtigt. Der eingelagerte Dialog zwischen dem Chor der Gereisten und dem der Nichtgereisten repräsentiert allegorisch einen Zyklus, den jeder Mensch immer wieder durchläuft. Nichtgereiste und Gereiste sind nur Rollen, die jeder in seinem Leben viele Male einnehmen kann. Wenn er begierig ist, etwas Neues zu erleben (und dass er es immer wieder ist, dafür sorgen seine Wünsche und die maßlose Neugier), dann lässt er sich durch die schlechten Erfah­rungen der Anderen nicht abhalten. Bei jedem Durchlauf des Zyklus erfährt er Lust, ist aber am Ende doch enttäuscht, zum einen, weil die Lust hinter seinen Erwartungen zurückgeblieben ist, zum an­deren, weil es nichts wahrhaft Neues ist, was er erlebt hat. Gleichzeitig aber wächst der Baum seiner Wünsche, gedüngt mit dem Lustgewinn, so dass ein jeder Durchlauf des Zyklus seinen Drang steigert, einen neuen zu beginnen. Das Hochschrauben der Wünsche in dieser Spirale nimmt nicht einmal angesichts des Todes ein Ende. Unersättlichkeit und maßlose Neugier bewegen die Reisenden, den Tod freudig zu begrüßen.

Neben der Lebensreise wird in einer zweiten Ebene des Gedichts eine andere, noch größere Reise mit­geführt. Es handelt sich um die Reise der Menschheit durch die Zeit. Information über diese Reise er­halten wir an den Stellen des Gedichts, an denen Aussagen über den Zustand oder das Verhalten der Menschheit getroffen werden. Häufig, wenn der Sprecher im Wir-Stil spricht, spricht er sowohl als Vertreter von Individuen, d.h. als Absolvent einer Lebensreise, als auch als Diagnostiker der gesamten Menschheit, so z.B. in II-1:

Nous imitons, horreur! la toupie et la boule
Dans leur valse et leurs bonds; même dans nos sommeils
La Curiosité nous tourmente et nous roule
Comme un Ange cruel qui fouette des soleils.

Darüber hinaus liest sich der gesamte zweite Teil wie ein Abriss menschlicher Entdeckungsreisen. Sieht man diese Reisen mit den Augen des Sprechers, muss man sie allerdings eher Irrfahrten nennen. Auch auf technische Entwicklungen wie Heißluftballons, Kanonen, Schiffe und Eisenbahnen geht der Spre­cher ein, meist in Nebensätzen und ebenfalls in eher abschätziger Haltung. Diese stellt man auch über­all dort fest, wo sich die Reisenden über die moralische Entwicklung der Menschheit äußern, wie z.B. in Teil VI. Summa summarum können wir konstatieren, dass die Reise der Menschheit sich im Gedicht eher als Stillstand präsentiert denn als Fortschreiten. So wie das Individuum auf seiner Lebensreise das erstrebte Neue nicht findet, findet es auch die Menschheit auf ihrer Reise nicht.


Die Modellwelt

Was sollen wir von den Verläufen dieser beiden Reisen halten? Die eine, die Menschheitsreise, ist im Grunde ein Stillstand, die andere, die Lebensreise des Individuums, ist bis ins Ende hinein eine Geschichte unerfüllter Wünsche. Wir müssen, wenn wir dieses Ergebnis bewerten, auch bedenken, dass der Autor uns in seinem Gedicht in eine Modellwelt versetzt, so wie er das auch schon in Au Lecteur gemacht hat, dem Eingangsgedicht der Fleurs. Er baut uns ein Modell der Welt mit Hilfe von extremen Annahmen, aus denen wir dann nur dieselben Konsequenzen ziehen können wie er. Zu diesen Annahmen gehören: eine nicht lernfähige Menschheit mit zweifelhaften Anlagen, der Ennui, jene mysteriöse Form des Überdrusses und der Langeweile, die als abstrakter Begriff durch viele Ge­dichte der Fleurs geistert, die immer weiter wachsenden Wünsche und die damit zusammenhängende, unstillbare Neugier. Im vorliegenden Gedicht macht sie, zusammen mit den Wünschen als ziehendem und dem Ennui als abstoßendem Element, die Menschen zu ruhelosen und ewig suchenden Wesen.


Ein paradoxer, aber konsequenter Schluss

Wir wissen natürlich nicht, was die Reisenden in der Obhut des "alten Kapitäns Tod" erleben werden. Auch Baudelaire will dies im Gedicht nicht diskutieren und so darf man die Euphorie der Reisenden angesichts ihrer letzten Reise nicht als Glücksversprechen deuten. Die Art und Weise, wie die Reisen­den den "alten Kapitän Tod" begrüßen, mutet paradox an. Viele von von uns haben Angst vor dem Tod, manche sehen ihm mit Gleichmut und Fassung entgegen, aber in Euphorie verfällt kaum einer in seinen letzten Stunden. Die paradoxe Euphorie, die Baudelaire seine Reisenden in dieser Situation äu­ßern lässt, ist jedoch nur eine Fortführung ihres vorherigen paradoxen Verhaltens. Entgegen allen Er­fahrungen und gegen jede Vernunft haben sie mit immer größerer Lust und Neugier nach dem Neuen gesucht. Immer wieder waren sie neugierig aufgebrochen, obwohl ihnen schon längst hätte klar sein müssen, dass sie keine andere, schönere Welt entdecken würden. Weshalb sollte es bei dieser letzten Reise anders sein, zumal ihnen, wie der Autor sie selbst sagen lässt, das Feuer das Gehirn versengt?

Und außerhalb der Gruppe?

Muss man sich dieser wahnwitzigen Reisegruppe anschließen? Man muss nicht unbedingt reisen, meint der skeptische Poet in Teil VII, und er meint damit sicherlich nicht das gelegentliche touristische Reisen, sondern das ständige Hochschrauben der Wünsche und die Gier nach Neuem. Dem unerbitt­lichen "Netzfänger", dem Tod, wird man natürlich trotzdem nicht entkommen. Aber das Ende könnte durch eine Rückkehr zu den Wurzeln und den Lieben geprägt sein, anstatt durch hirnverbrannte Gier.




Anhang: Übersetzung von Frank Freimuth

Die Reise

für Maxime du Camp

I

Dem Kind, das Karten liebt und Bilderlein,
scheint unsre Welt so groß wie sein Begehren.
Wie mächtig ist sie doch im Lampenschein,
im Blick zurück bleibt nichts von weiten Sphären.

Wir brechen morgens auf, der Geist voll Glut,
das Herz voll Groll und beißendem Begehren,
und folgen dann dem Takt der Wellenflut,
die unser Sehnen wiegt in nur begrenzten Meeren:

Die einen froh, der üblen Heimat zu entsagen,
die anderen den Schrecknissen der Jugendzeit,
die Sternedeuter, welche Frauenaugen plagen
und eine Circe voller Duft und Grausamkeit.

Sie suchen den Rausch, um nicht Tiere zu werden,
von Weite, von Licht, von glühenden Sonnen;
der beißende Frost, die Strahlen, gleich bräunenden Erden,
verwischen langsam die Küsse und Wonnen.

Die wahren Reisenden sind die, die scheiden
um Scheidens willen, leicht wie ein Ballon;
sie werden niemals die Bestimmung meiden,
sie sagen "Gehen wir" mit unbeschwertem Ton.

Die sind es, deren Wünsche geformt sind wie Wolken,
die sich erträumen, wie Rekruten ihr erstes Gewehr,
gigantische Wonnen, die dem Alten nicht folgen,
dem Menschen so fremd wie ein Feuer im Meer.

II

Wir imitieren, ach, das Tanzen und Springen
der Kugeln und Kreisel; selbst in Träume gesponnen
will Neugier uns quälen, die Gefolgschaft erzwingen,
und peitscht uns wie grausame Engel die Sonnen.

Ein seltsames Los, wo das Ziel sich entzieht
und, nirgendwo liegend, vielleicht irgendwo ist,
wo der Mensch, den die Hoffnung nie flieht,
nach Ruhe suchend Zeit in Sekunden bemisst.

Die Seele, ein Schiff, nach Ikarien strebend,
des Kommandanten Stimme: "Die Augen auf!"
Die andre, vom Mast, voll Inbrunst bebend:
"Die Liebe, Ruhm, das Glück!" Hölle! Wir laufen auf!

Ein jedes Eiland, das man vom Ausguck sieht,
ein Eldorado ist's, vom Schicksal prophezeit;
die Fantasie, die überbordend blüht,
trifft nur ein Riff zur klaren Morgenzeit.

Der arme Kerl, der Wolkenländer kündet!
In Ketten legen? Wirft man ihn ins Meer,
den trunkenen Seemann, der Amerika erfindet,
sein Trugbild macht das Unheil doppelt schwer.

So wie der alte Vagabund, der tief im Schlamme steckt,
sich in dem Träumen einer hellen Wunderwelt gefällt
und sein verhextes Auge Capua überall entdeckt,
wo Kerzenschein ein düsteres Loch erhellt.

III

Erstaunliche Reisende! Welch edle Geschichten
erscheinen in Augen mit der Tiefe von Meeren!
Ihr sollt aus dem Schatz der Erinnerung berichten,
den edlen Steinen aus Sternen und Sphären.

Wir wollen reisen, ohne Dampf und ohne Segel!
Damit der Überdruss in unsrem Kerker schwindet,
gebt unsrem Geist, gespannt wie ein gedrückter Hebel,
was ihr erinnernd zwischen Horizonten findet.

Sagt, was habt ihr gesehen?

IV

                     "Wir haben Sterne gesehen
und Fluten und Wüsten dazu,
doch trotz Schlägen und Windes herrischem Wehen
kam oft wie hier der Überdruss hinzu.

Der Glanz der Sonne über violettem Meere,
der Glanz der Stadt im Schlaf der Sonnen,
sie ließen ahnen, wie schön es wäre,
versunken im Himmel verlockender Wonnen.

Die größten Länder, wo der Überfluss waltet,
sie hielten niemals die seltsamen Reize bereit
wie die, die Zufall aus Wolken gestaltet,
und Sorgen füllten aus Sehnsucht die Zeit.

- Genuss versorgt die Sehnsucht mit Kraft.
Du Sehnsucht, alter Baum, von Lust gedüngt,
dieweil sie harte, dicke Rinden schafft,
will jeder Ast von dir, dass Sonne Wärme bringt.

Wirst du noch weiter wachsen, großer, zäher Baum?
Hier ist, vorab, ein Abriss, der euch frommt,
an Bildern, Brüder, für euren großen Sammlungsraum,
die ihr als schön begrüßt was weither kommt.

Wir haben Götzen mit Rüsseln gesehen,
und Throne, mit funkelnden Steinen bestückt,
Paläste, deren Herren sich prunkvoll ergehen,
ein Traum, der Reiche ins Elend verschickt,

Gewänder, unsere Augen mit Schönheit berauschend,
auch Frauen, die sich Zähne und Nägel bemalen,
und Gaukler, mit Schlangen Zärtlichkeit tauschend."

V

Und dann, was noch?

VI

                     "Oh, ihr kindlichen Gemüter!

So lasst uns nicht das Wichtigste vergessen:
Ganz ohne Suche war es überall zu sehen,
hat überall am Schicksalshang gesessen,
der ewigen Sünde ödes Geschehen:

Die Frau, die kleine Sklavin, affektiert und beschränkt,
todernst in Liebe für sich selbst und den Putz,
der Mann, ein harter Tyrann, geil, von Habgier gelenkt,
ein Sklave der Sklavin, eine Rinne im Schmutz;

Bekenner, die schluchzen, Henker, die kommen,
das Fest zum Würzen vergossenen Blutes,
die Gifte der Macht, die Despoten nicht frommen,
das Volk, der Peitsche hörig, als tue sie Gutes.

Religionen, jede der unseren gleichend,
die alle himmelwärts streben, zur Heiligkeit,
und die sich wälzen, Memmen im Federbett gleichend,
in Kutte und Nägeln suchend nach lustvollem Leid;

Die Menschheit, schwatzhaft, von ihrem Geist betört,
sie, die schon immer nur auf falschen Wegen sucht,
zu Gotte wütend rufend, von ihrer Agonie zerstört:
'Oh du mein Ebenbild, mein Herr, sei du verflucht!'

die nicht so Dummen, die kühn den Wahnsinn lieben,
die Herde fliehend, die das Geschick zusammenhält,
und die versteckt im Reich des Rauschgifts blieben!
- dies ist das ewig gleiche Bulletin vom Stand der Welt."

VII

So bitteres Wissen, das Reisen uns verschafft!
Was uns die kleine, monotone Welt tagtäglich offeriert,
ist unser Ebenbild, das uns entgegenblafft,
ein Schreckensort in einer Wüste, wo Überdruss regiert.

Soll man gehen, bleiben? Bleibe, falls es möglich scheint,
wenn nötig, gehe. Der eine rennt, der andre deckt sich zu,
um ihn zu täuschen, jenen wachen, schlimmen Feind,
die Zeit! Es gibt, jedoch, auch Läufer ohne Rast und Ruh,

Apostel, zum Beispiel, und Juden, die ruhelos ziehen;
kein Wagen, kein Dampfer reicht ihnen aus
dem Feind mit dem Netz zu entfliehen,
den andere töten, aus dem Bette der Kindheit heraus.

Setzt er dann schließlich den Fuß in unsren Nacken,
sind wir bereit zu hoffen und "Voran" zu rufen,
so wie wir einstens China angesteuert hatten,
die Augen starr zur See, bereit, das Schiff zu luven,

Wir schiffen uns ein zum Meer der Dunkelheit
mit freudigem Herzen wie ein junger Passagier.
Hört ihr die Stimmen, bezaubernd in Düsterkeit,
die singen: Kommt her, ihr, voller Gier

nach duftendem Lotus. Hier pflückt man sie,
die Wunderfrucht, nach der sich euer Herz verzehrt;
Berauscht euch an der seltsamen Magie
von diesem Nachmittag, der ewig währt!"

An seiner Stimme erraten wir den Geist;
Pylades' Brüder strecken ihre Arme zu uns hin,
und jene, der wir einst die Kniee küssten, weist:
"Dein Herz zu kühlen, schwimm zu Elektra hin!"

VIII

Oh Tod, du alter Kapitän, gib dein Schiff nun dem Winde!
Mit Ödnis quält uns dieses Land, Tod, brechen wir auf!
Sind Meere und Himmel auch schwarz wie Tinte,
glüht doch das Herz, das du kennst, von Strahlen zuhauf.

Oh, schicke dein Gift, schaff uns die Stärkung herbei!
Wir wollen nun, weil Feuer die Hirne schinden,
hinab zum Grund, gleich, ob er Hölle oder Himmel sei,
zum Grund des Fremden, um Neues zu finden.



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