Housman: How clear, how lovely bright

Das Gedicht, das ich hier vorstellen will, stammt nicht aus Housmans Hauptwerk A Shropshire Lad, sondern aus der Sammlung More Poems, die erst nach A.E. Housmans Tod von seinem Bruder Laurence veröffentlicht wurde. Wie die meisten Gedichte Housmans trägt es als Titel nur eine römische Nummer.

Es folgt nun zunächst das englische Original. Dann gebe ich einige Erläuterungen anhand meiner eigenen Übersetzung, die ich 2019 in meinem Buch in Form geblieben veröffentlicht habe.

More Poems XVI

How clear, how lovely bright,
How beautiful to sight
Those beams of morning play;
How heaven laughs out with glee
Where, like a bird set free,
Up from the eastern sea
Soars the delightful day.

To-day I shall be strong,
No more shall yield to wrong,
Shall squander life no more;
Days lost, I know not how,
I shall retrieve them now;
Now I shall keep the vow
I never kept before.

Ensanguining the skies
How heavily it dies
Into the west away;
Past touch and sight and sound
Not further to be found,
How hopeless under ground
Falls the remorseful day.

In wunderschönen Klängen wird hier die Geschichte eines Le­bens erzählt, das mit großen Hoffnungen und Vorsätzen be­ginnt und in Resignation endet.

Housman schrieb dieses Gedicht in den 1880er Jahren, als er nach seinem Scheitern im Examen beim Patentamt arbeitete. Mag sein, dass dieses Scheitern den Pessimismus beförderte, der das Werk durchzieht. Er hat es übrigens zu Lebzeiten nicht publiziert. Erst kurz nach seinem Tod wurde es von seinem Bruder Laurence Housman in dem Sammelband A.E.H. veröf­fentlicht. Den Liebhabern englischer Krimis könnte das Ge­dicht aus den Inspektor-Morse-Romanen bekannt sein. Als er den Titel für den letzten Roman der Serie festlegte (The Re­morseful Day), ließ sich Colin Dexter von Housmans Versen inspirieren.

Im Gedicht wird das Leben gedanklich zu einem einzigen Tag zusammengezogen, der mit einem herrlichen Morgen be­ginnt. Wie ein aus seinem Käfig befreiter Vogel zieht dieser Morgen von Osten herauf:

Wie klar, welch schönes Licht,
die morgendliche Sicht,
wenn sich die Strahlen zeigen;
wie lacht der Himmel frei heraus,
wo, wie ein Vogel ohne Haus,
vom Wasser tief im Osten aus
die Stunden herrlich steigen.

Die zweite Strophe beginnt mit einer Selbstbeschwörung des Sprechers, in der dieser seine Stärke betont. Aus dem weiteren Text erfahren wir, dass er einen Vorsatz gefasst hatte, den er jedoch nicht verwirklichen konnte. Jetzt aber soll es ge­lingen:

Heut bin ich stark genug,
nicht mehr soll mir zum Trug
das Leben sich entziehen;
die Zeit, verloren, weiß nicht wie,
heute finde, greif ich sie;
den alten Schwur, gehalten nie,
ich werde ihn vollziehen.

Zwischen der zweiten und der dritten Strophe liegt offensicht­lich einige Zeit. Denn nun ist offenbar, dass der Schwur, von dem in der zweiten Strophe die Rede war, doch nicht vollzogen worden ist. Entweder ist seine Erfüllung nun nicht mehr mög­lich, weil der Sprecher zu alt ist, oder ihn hat die Resignation gepackt. Der Schwur "füllt den Himmel rot und stirbt den schweren Tod":

Er füllt den Himmel rot
und stirbt den schweren Tod,
im Westen liegt sein Grab;
jenseits von allen Sinnen,
nicht wieder zu gewinnen,
wie Wasser, die verrinnen
sinkt reuevoll der Tag.

Selten ist die Erkenntnis des Versagens mit so schönen Worten beschrieben worden.


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