Edwin Arlington Robinson: Eros Turannos

Edwin Arlington Robinson (1869 - 1935) gilt als der erste moderne Dichter der USA, und dies, obwohl er der klassischen Form der Dichtung mit Versmaß und Reim verhaftet blieb und niemals freie Verse schrieb. Neuartig an seiner Poesie war zum einen, dass er nicht in überhöhter lyrischer Sprache, sondern in der Alltagssprache schrieb, zu anderen waren es die Gegenstände, die er wählte und die Art, wie er darüber sprach. Er fand seine Themen in den menschlichen Geschicken seiner Umwelt. Eros Turannos, aus dem 1916 veröffentlichten Album The Man Against the Sky gilt als eines seiner besten Werke.


Eros Turannos

She fears him, and will always ask
What fated her to choose him;
She meets in his engaging mask
All reason to refuse him.
But what she meets and what she fears
Are less than are the downward years,
Drawn slowly to the foamless weirs
Of age, were she to lose him.

Between a blurred sagacity
That once had power to sound him,
And Love, that will not let him be
The Judas that she found him,
Her pride assuages her almost
As if it were alone the cost. -
He sees that he will not be lost,
And waits, and looks around him.

A sense of ocean and old trees
Envelops and allures him;
Tradition, touching all he sees,
Beguiles and reassures him;
And all her doubts of what he says
Are dimmed with what she knows of days -
Till even prejudice delays
And fades, and she secures him.

The falling leaf inaugurates
The reign of her confusion:
The pounding wave reverberates
The dirge of her illusion;
And home, where passion lived and died,
Becomes a place where she can hide,
While all the town and harbor side
Vibrate with her seclusion.

We tell you, tapping on our brows,
The story as it should be,
As if the story of a house
Were told, or ever could be;
We'll have no kindly veil between
Her visions and those we have seen, -
As if we guessed what hers have been,
Or what they are or would be.

Meanwhile we do no harm; for they
That with a god have striven,
Not hearing much of what we say,
Take what the god has given;
Though like waves breaking it may be,
Or like a changed familiar tree,
Or like a stairway to the sea
Where down the blind are driven.


Trotz des sehr einengenden Reimschemas ababcccb für die achtzeiligen Strophen ist Robinson mit Eros Turannos ein herausragendes Gedicht gelungen, das auch melodisch zum Besten gehört, was der eher zu spröden Versen neigende Dichter geschaffen hat. Wie bei manchen anderen seiner Gedichte, profitiert auch hier der Leser am meisten, wenn er sehr genau liest und die Konstruktion studiert. Der Autor geizt mit Informationen, hält aber den Leser mit Hilfe von Indizien und Andeutungen bei der Stange.

In Eros Turannos erzählt ein anonymer Sprecher, der sich erst spät als ein Mitglied der Bevölkerung eines Hafenortes zu erkennen gibt, die Geschichte eines Paares aus diesem Ort. Das Schwergewicht seiner Beschreibung liegt dabei eindeutig auf der Seite der Frau. Bereits in der ersten Strophe versetzt er sich in sie hinein und gibt eine grobe Zusammenfassung der Lage:

Offensichtlich steht es in der Beziehung nicht zum Besten. Der Partner gibt der Frau Anlass zu Zweifeln und auch zu Furcht. Was es im Einzelnen ist, das sie verstört, erfahren wir in dieser Strophe und auch später nicht. Wir erfahren jedoch, dass er eine einnehmende Maske zeigt, seine Untaten also nicht offen begeht. Die zweite Hälfte der Strophe stellt klar, dass die Frau trotz der charakterlichen Mängel ihres Partners an ihm festhalten will, weil ihr die deprimierende Eintönigkeit eines einsamen Alters schlimmer erscheint als seine Gegenwart.

Die zweite Strophe informiert uns zunächst darüber, dass die Lage einmal besser war. Früher habe die Frau die Fähigkeit gehabt, ihn "auszuloten". Diese besitzt sie nun offensichtlich nicht mehr. Der einstige Scharfsinn sei nun verschwommen (blurred). Über die Gründe für die Beeinträchtigung schweigt sich der Sprecher aus. Stattdessen lässt er uns eine Andeutung zukommen, dass der Partner sich als Judas erwiesen, also einen Verrat begangen habe. Aus Stolz nehme sie das hin. Er, wiederum, habe dies erkannt; er warte ab und "sehe sich um".

Über die Bedeutung dieses Umsehens können wir nur rätseln. Es mag besagen, dass er sich nach anderen Frauen umsieht, es kann aber auch so zu lesen sein, dass er seine Umgebung mit großer Aufmerksamkeit wahrnimmt. Die ersten vier Zeilen der dritten Strophe sprechen für die zweite Interpretation. Diese vier Zeilen, welche durchaus sympathische Züge des Mannes enthüllen, lassen ihn plötzlich in einem besseren Licht erscheinen. Der weitere Verlauf der Strophe ist nicht geeignet, unseren Eindruck von dem Mann auf eine sichere Basis zu stellen. Einerseits werden wieder die Zweifel der Frau ins Blickfeld gerückt, zusammen mit dem Hinweis, dass sie durch drohende Einsamkeit gemindert würden, andererseits ist aber auch von ihren verblassenden Vorurteilen die Rede.

Die vierte Strophe ist ein Musterbeispiel für die indirekte Art der Informationsvermittlung, mit der Robinson den Leser im Alarmzustand hält. Denn erst fast am Ende der Strophe wird der Leser gewahr, dass ein Zeitsprung stattgefunden haben muss: Die ersten vier Zeilen informieren uns darüber, dass sich der geistige Zustand der Frau verschlechtert hat. Auch habe sie ihre Illusionen verloren oder sei zumindest dabei, sie zu verlieren. Das Bild vom fallenden Blatt legt die Vermutung nahe, dass sie dem Ende entgegengeht, das Bild der stampfenden Wellen evoziert den Gedanken an Schicksalsschläge. Aufgrund der Andeutungen in der zweiten Hälfte der Strophe können wir vermuten, dass sie nun alleine und zurückgezogen in ihrem Haus lebt. Ihr Partner ist also entweder gestorben oder hat sie verlassen. Ihre Abgeschiedenheit gibt der Bevölkerung offensichtlich viel Stoff zum Tratsch.

In der fünften Strophe gibt sich der Sprecher als ein Einwohner des Ortes zu erkennen. Er gibt außerdem, durchaus selbstkritisch, Auskunft über die oberflächliche Art, in der man sich eine Meinung über die Frau und die Geschichte ihrer Partnerschaft gebildet hat. Auch wenn der Sprecher eine gewisse Oberflächlichkeit bei der Urteilsbildung einräumt, eine empathische Person scheint er trotzdem zu sein. Davon zeugt die fulminante Schlussrede, die ihm der Autor in den Mund legt. Wer, wie die Frau, sich mit einem Gott angelegt habe (dem Gott der Liebe?), der sei taub für das, was die anderen sagen, und er nehme hin, was der Gott ihm zugedacht habe. Und dann benutzt der Sprecher gleich drei Bilder für das, woraus diese Gottesgabe bestehen könnte: das Brechen der Wellen, die Veränderung eines vertrauten Baums, eine Treppe in das Meer hinein, auf der die Blinden hinabgetrieben werden, allesamt wohl Metaphern für die Arten des Zu-Ende-Lebens.

Eros Turannos ist nicht nur bemerkenswert für seine für Robinson außergewöhnlichen klanglichen Qualitäten, sondern auch für seinen außergewöhnlichen Bilderreichtum. Da sind zum einen die Bilder zu nennen, welche mit dem Wasser und dem Meer zu tun haben, wie das Ausloten, der Ozean, die einmal stampfenden und später die brechenden Wellen, die Hafengemeinde und schließlich das Meer selbst. Zum einen lassen diese Bilder die Vorstellung einer meeresnahen Umgebung im Leser entstehen, ohne dass ein direkter Hinweis darauf nötig gewesen wäre, zugleich aber schaffen sie die Basis für die Treppenmetapher am Schluss des Gedichts.

Eine zweite Folge von Bildern ist an das Phänomen der beschränkten Sicht geknüpft: die Maske, die der Partner trägt, die Vernebelung der Fähigkeit, ihn auszuloten, das Betasten von Objekten durch den Mann, das Verblassen der Zweifel und der Vorurteile der Frau, die Sichten (visions) auf die Geschichte und schließlich die Blinden, welche die Treppe hinabgetrieben werden. Dort, an dieser Treppe, vereint sich die Folge der Blindheitsbilder mit der Folge der Meeresbilder.

Die beschränkte Sicht ist ein Hauptmotiv in diesem Gedicht. Sie tritt in zwei unterschiedlichen Arten auf: als Blindheit der Frau gegenüber dem Charakter des Partners und gegenüber ihrem eigenen Geschick und als Blindheit der Ortsbewohner gegenüber dem, was in der Partnerschaft der Protagonisten geschieht. Keine dieser Blindheiten verdient in der Einschätzung des Sprechers (und sicher auch des Autors) Herabsetzung oder gar Verachtung.

Ob die Zweifel der Frau am Charakter des Mannes begründet waren oder ob sie vielleicht nur auf ihre Verwirrung zurückgingen, bleibt am Ende offen. Eros Turannos ist daher auch im engeren Sinne kein psychologisches Gedicht, jedenfalls keines, das psychologische Begründungen liefern soll. Diese bleiben dem Leser überlassen.


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