Sonette & Co

© Frank Freimuth





Wenn er es wäre

Im ausgedünnten Kleid der Kälte harrend
befärben ockergelbe Lärchen
den Hang so warm
als wär er Summe meiner schönen Tage.

Die Luft, so wie sie niemals war,
durchdringt den unbewehrten Leib,
stillt alle Sehnsucht, die sie weckt,
verbläst nun auch
die Diktatur der Zeit.

Ein Hauch vom Grund hebt meine Ärmel
und bringt mich dennoch nicht zum Frieren;
wenn er es wäre, so sanft auf meiner Haut,
wenn er es wäre,
ich würde mich nicht zieren.

FF



Wolfsein

Wie ich es hasste, das Fassen an den Händen,
den Ringelreigen, das Klatschen, Singen und das Hüpfen,
das Würsteschnappen, Eierlauf mit Löffel,
das Lagerleben und gemeinsame Besinnung!

Wär's mir bestimmt gewesen, Tier statt Mensch zu sein,
wär ich ein Wolf geworden,
der mit der Wölfin durch die Wälder zieht,
ein kleines Rudel bildend,
wenn er den Drang nach Nachwuchs spürt,
und der den Rest aus der Distanz besieht.

Ein Wolf, zum Mensch geworden, verspürte Unbehagen,
säh er, wie viele sich am Teilchen-Sein berauschen,
säh er sie jubeln, schunkeln und im Takt beklatschen,
anstatt, wie einst, dem Eigenton zu lauschen.

FF


Hergebeichtet

Dass es nichts Ernstes war,
klingt noch in meinem Ohr,
wie Bier, das man einst heimlich trank,
ein kleiner Joint,
gepafft auf einer stillen Bank.

So unbeschwert sei er gewesen,
flotte Sprüche auf den Lippen,
gebunden und doch völlig frei,
dagegen hier das ewig gleiche,
das fade, graue Einerlei.

Dass es seine Frau erfuhr,
und alles sei schon längst vorüber,
doch dass sie mir dies schuldig sei
und sie von ganzem Herzen hoffe,
es wachse schnell das Gras darüber.

FF


Die Frau der Träume

Ist sie es wirklich, diese Frau,
die über Wochen
mein ganzes Sinnen an sich band
und deren traumerzeugter Glanz
abrupt im Augenschein verschwand?

Gesetzt den Fall, sie wär stattdessen
bei mir und ungeträumt geblieben:
Hätt ich der Neigung widerstanden,
sie anzupassen, zu verbiegen
zu einer meinem Ich Verwandten,

zum Tüpfelchen von dessen i,
das alle meine Träume teilt
und süchtig ist, mir "Ja" zu sagen?
Könnte sie und könnte ich
ihr Frau-der-Träume-Sein ertragen?

FF


Zerträumt

So sehr ist jede Nacht
um dich gewebt,
so sehr ist mein Dich-Träumen
eingeübt,
dass mich dein Bild
nun ohne Halt durchschwebt,

und mir die Ahnung sagt,
ich habe dich zerträumt,
habe dich,
Leib meines Wahns,
darin schwelgend versäumt.

FF




Sie verlässt das Boot

Es ist die Liebe, sagte sie,
Liebe wie ein Schiff im Sturm,
ins tiefe Tal hinab
und hoch zum Wellenturm.

Liebe, hatte er gedacht,
sei ein Boot in stiller Bucht,
keine Stürme mehr,
niemand, der sie sucht.

Er weiß, dass manches Schiff
im Sturm die rote Flagge hisst,
doch was nützt die Weisheit,
wenn sie nur seine ist!

FF



Schätze dein Erbe!


Sie sind genau,
wenn sie die Erbschaft präsentieren:
Da ist das wohlvertraute, alte Haus,
die kleine Summe auf der Bank,
Vitrinen voller alter Kleider,
ein Blutdruckmessgerät im Schrank.

Trau ihnen nicht, denn da ist mehr,
und es ist längst schon dein Besitz:
Gelassenheit und Mut vielleicht
und ein besonders heller Kopf.
Die Furchtsamkeit, dagegen,
erweist sich lästig wie ein Kropf.

Und da ist noch das Unwägbare:
Ehrfurcht und Demut sind dabei,
Bescheidenheit und Schamgefühl.
Man wird nicht müde, sie zu loben,
und dieses Lob kommt, wie du weißt,
ganz besonders oft von oben.

FF



Der Blick des wilden Tieres

Du hütest dich, das wilde Tier zu zeigen,
das du im Keller gut versteckst,
du tränkst es nicht, hast ihm stets Fraß versagt
und niemals öffnest du den Käfig,
in dem es knurrt und heulend klagt.

Du schaust ihm selten in die Augen,
in denen heißer Hunger brennt -
geschieht es doch, hältst du dem Blick nicht stand
und schließt die Tür, bevor er dich versengt.

Natürlich ahnst du, dass in Nachbarhäusern
fast jeder so ein Tier hat wie das deine,
ein Tier, das beißt und Lämmer reißt,
nimmt man es nicht ganz sorgsam an die Leine.

Weißt du, dass manche wie gebannt
den Blick des Tieres auf sich nehmen
für ein Erkennen, ein Bild, das aus ihm spricht,
und das, wenn du es sehen solltest,
den Thron, auf dem du ruhst, zerbricht?

FF



Der Weg auf den Klippen

Er war verboten, dieser Weg,
und ich, nur für was-alle-tun gerüstet,
verletzte niemals ihr Verbot,

obwohl sie lockten, die hohen Wogen in der Tiefe,
die Stürme, die die Kleider bauschen,
die nur geahnte Lust aus Wagnis und Gefahr.

Der, der ihn geht, kehrt nicht zum Trott zurück.
Ich ahnte es, doch fehlte mir der Mut
und Unverfrorenheit, das himmlische,
das unvorstellbare Geschenk.

Viel später sah ich Wogen in der Bucht
erlebte Stürme, die die Kleider bauschen,
doch immer wieder denke ich zurück
und wünschte mir, ich hätte es versucht.


FF




Das Zeugnis

Du sprichst von Sorgen, Ängsten,
von dem, was ich erhoffte,
was ich verlor
und was ich nicht bekam,
von Freude sprichst du,
aber mehr vom Plagen,
und Jahr für Jahr
hast du mir mehr zu sagen.

Warum kannst du nicht einfach lügen,
mit Glätte sprechen,
mich betrügen?

Sie ist wohl müßig, diese Frage,
hab ich doch mitgewirkt
am Zeugnis meiner Tage!

FF



Hab Angst!

Stell dich der Angst,
sie wird sonst bleiben,
nur Augenschein
kann sie vertreiben!

Es bleibt nicht aus,
dass Geier dich umfliegen,
doch Angst vor Angst
kannst du besiegen.


Frank Freimuth





Der Berg ruft

Verschwindend klein schien dir das Gipfelkreuz,
vom Abendlicht und feinem Dunst umgeben,
und deine Sehnsucht, dort zu stehen,
von allen Sorgen dieser Welt entbunden,
glich einem Adler mit verletzten Flügeln.

Und eines Tages stehst du wirklich oben,
es ist ein Glück und doch nicht wie du dachtest:
Obschon so klein, dein Haus, in dem die Sorgen wohnen,
ist dir doch klar, du musst dorthin zurück.

Die Sehnsucht, die du spürtest, kannst du wieder spüren,
sie gibt dir Hoffnung, macht die Schritte leicht,
das Ziel der Sehnsucht aber wird sich dir versagen.
Nimm es nicht schwer, kein Mensch hat es erreicht!


Frank Freimuth




Entwertung

Erkenntnis nimmt oft sonderbare Wege. Die Marke war's,
auf einen Brief geklebt, der völlig harmlos war,
und die auf einen Schlag zu Tage brachte,
was schon so lang im Stillen gärte.
War das nicht er, ein blasses Allerweltsgesicht auf fahlem Grund,
das nun, entwertet durch den fetten Stempel, kaum noch erkennbar war?

Jedoch, glich das, was ihm geschehen war und immer noch geschah,
tatsächlich jenem rüden Akt, mit dem ein Postbeamter, vielleicht auch die Maschine,
in einem kurzen Augenblick dem Wert ein Ende setzte?
War es nicht eher der maroden Dusche seiner alten Wohnung gleich,
die immer kälter wurde und ihn am Ende mit den Zähnen klappern ließ?
So wie die Dusche ihm die Kälte einverleibte, so ließ nicht enden wollende Kritik,
die sich aus einem Rinnsal in einen Fluss verwandelt hatte,
in ihm die Zweifel am Genügen wachsen.

Wie leicht sich doch die Dusche hatte richten lassen!
Was aber könnte Liebe neu erwecken, was könnte jene Worte tilgen,
die nun wie Krebsgeschwür in seinem Körper weiter wuchsen?
Nein, er war nicht Marke und nicht Opfer einer Dusche,
er war der umgekippte Fluss,
in den von Jahr zu Jahr mehr Gift geflossen war.


Frank Freimuth



Zoo-Gedanken

Ein breiter Graben schützt mich vor den Löwen,
wenn Lamas spucken, halte ich mich fern.
Ach, wär's doch immer schon so leicht gewesen!
Wer hat schon Spucken, Schlagen, Beissen gern?

Weshalb, frag ich, ist die Erinnerung so zäh
an jene Blitze, die sich Tag für Tag entluden,
an jene Sätze, die brannten und beschmutzten?

Der, der ich bin, hat längst verziehen,
das Kind in mir kaut seine alte Nahrung wieder,
unfähig auszuspucken, was nicht verdaulich ist.

Ein breiter Graben schützt mich vor den Löwen,
wenn Lamas spucken, halte ich mich fern,
und immer noch fühl ich mich hingezogen,
besuche sie bisweilen gern.

FF



Vom Wegesrand

Es hätte dieser Botschaft nie bedurft,
die sie vom Wegesrand verschickte.
Dies galt schon damals, vor unsrer ersten Nacht,
und heute, so viele Jahre später,
ziehst du die hilflos irrenden Gedanken an,
wie ein Magnet es mit dem Eisen macht.

Wie oft schien mir mein Gang nicht schnell genug,
wenn aus dem Ruf ein Wunsch nach Nähe wurde
und ich die Blume mitnahm als dessen Manifest!
Nun kommt's auf Eile nicht mehr an,
und meine Rückkehr, wenn es denn eine ist,
ist nichts, was alte Beine straucheln lässt.

War damals klar, wohin der Ruf mich führte,
und lag das Ziel ganz scharf vor meinen Augen,
passiert es nun, dass sich der Blick am Nebel bricht.
Wie eine heiße Eisenstange ist das Alte, Schöne -
den Halt gewährt es nur zum Preis von Schmerzen
und doch ist klar: vergessen hilft mir nicht.

FF


Monolog vor meiner Hülle

Dass ich dies bin, der hier im Badezimmer steht,
behauptet dieser Spiegel. Ein alter Mann,
nicht viele Haare auf dem Kopf,
mit Falten auf der Stirn, an Hals und Wangen,
das eine Auge schmaler als das andere,
und beide leicht von Rötungen durchzogen.

Dass ich dies bin, sagt dieser blöde Spiegel,
und pocht darauf, dass er mir nahe steht.
Was weißt du, Spiegel, denn von mir,
du, der du nichts als meine Hülle siehst,
nicht eine Spur vom Denken und vom Fühlen,
und der dazu auch noch beschlagen ist!

Weißt du, dass du mich mir entfremdest,
der ich nicht weise bin und auch nicht ohne Wünsche,
der ich noch Ängste habe und verlegen bin?
Weißt du, dass nicht nur Körper biegsam sind,
dass nur die Hülle altert, nicht mein Ich,
und drin derselbe steckt wie noch vor sechzig Jahren?

Frank Freimuth



Gipfelträume

Sie ist vorbei, die Zeit der schroffen Berge,
vorbei die Zeit von Gipfelsiegen,
nun muss der Geist allein den Weg beschreiten,
muss wie ein Vogel aufwärts fliegen.

So manchen Gipfel versagte ich mir selbst,
denn enge Kleidung hemmte meinen Schritt,
ihr gabt mir viel und habt mir viel genommen,
wenn ich Erfüllung suchte, saht ihr mich außer Tritt.

Erträum ich nun die selbstversagten Gipfel,
bin ich erstaunt, wie weit mich Träume tragen,
und dass sie dauern: anstatt ins Tal hinabzusteigen
seh ich den Wind die Wolken jagen.

Frank Freimuth



Der Kapitän erzählt vom Eisberg

Wir alle hängen an den Lippen dieses Mannes,
als er, zurückgelehnt im Polster seines Sofas,
vom Meer erzählt und seinen Tücken,
von Stürmen, Monsterwellen und von jenen Bergen,
die sich so harmlos geben und es gar nicht sind.

Natürlich könne man sie orten, Mittel gebe es genug,
und schließlich wisse jeder, der das Meer befährt,
dass unter stillem Wasser, unter dieser gottverdammten Glätte,
sich jahrelang verstecken kann,
was dann auf einen Schlag zum Unglück wird.

"Man kennt so viele dieser Berge", sagt er mit einem Seufzen,
"doch immer wieder laufen welche auf,
weil sie nicht achtsam sind, weil sie die Zeichen übersehen".
Er trinkt und streckt den freien Arm zur Seite.
Der Platz, an dem die Hand nun liegt, ist leer.

Frank Freimuth



Stellenbewertung

Die Suche fehlgeschlagen! Es gab wohl keinen,
der fähig war, die Streitenden zu einen,
die Angst zu tilgen, die täglich an uns frisst,
uns zu erklären, was nicht erklärbar ist.

Was war zu tun? Vielleicht ein Dummy,
wenn es in Wirklichkeit nicht möglich war,
ein klingender, ein eindrucksvoller Name,
ein Hörensagen, ein Symbol?

Dazu, um die Vakanz zu überbrücken,
ein Stellvertreter, mit Macht und Titel ausgestattet,
der kraft Dekret die Botschaft dessen hörte,
den niemand kannte, den es niemals gab.

Wir wissen alle, dass es nicht gelang.
Wir wissen, dass es allerorten knirscht,
dass Wangen schmerzen, arglos hingehalten,
verletzt durch Schläge, die den ersten folgten,

dass uns die Ängste täglich weiter plagen,
dass ohne dieses Hörensagen
der Starke auch zu etwas kommt -
und dass die Stelle uns nicht frommt.

Frank Freimuth




Nach einem Bild wie von Hopper

Als ich die Bar betrat, gelockt vom Lichterschein,
um noch ein Bad zu nehmen in Stimmen und Gesichtern,
saß sie allein am Tisch vor einem Wein,
zurückgelehnt, abseits von grellen Lichtern.

Sie war nicht jung, nicht alt, mit vollen Lippen,
rot leuchtend angemalt im länglichen Gesicht;
am hochgeschlagenen Bein ein leichtes Wippen,
und mit der Ruhe, die für Gleichmut spricht.

Sie war mir fremd, doch irgendwie auch nicht,
vertraut wie jemand, den man lang nicht sah,
mit dem man trotzdem über alles spricht,
der lange fort war und doch immer da.

Kein Wimpernschlag, der lockend zu ihr führte,
nur dieses Alles-Wissen-und-Verstehen;
ich wusste nicht, was kommen würde,
ich wusste nur, es würde gleich geschehen.

Frank Freimuth



Der schmale Pfad

Sein Anfang ist nicht weit von meinem Haus,
ein schmaler Pfad, der durch die Wiese führt,
vorbei an weit verstreuten Büschen,
zu einem Abhang hin, wo ihn das Auge dann verliert.

Unendlich zärtlich führt er durch das Gras,
nicht schnurgerade, sondern stets gewunden,
um Mulden und um Hügel, so unbedeutend,
dass nur durch Spüren aufgefunden.

Kein Künstler könnte sich erdenken,
was Füße hier jahrzehntelang erschritten,
kein Maler könnte Striche ziehen
wie Fransenwerk aus abertausend Tritten.

Wie oft schon gingen Menschen hier entlang,
die Nachbarn, Fremde, sie und ich.
Auch heute werden sich die alten Füße plagen -
so lässt der lange Tag sich gut ertragen.

Frank Freimuth



Dämonen

Von Zeit zu Zeit, bevor ihm Schlaf die Macht entreißt,
weist er den Träumen Weg und Ziel,
sinnt Bilder aus und lässt sie sich gebären,
ermalt sich Akte aus geheimer Fantasie.

Er fühlt die Nesseln des Verlangens brennen,
spürt, wie die Hitze in ihm steigt und sticht;
er labt sich gierig an verwünschten Quellen,
trinkt ihre Flut ins sehnsuchtskranke Ich.

Doch manches Mal erheben sich Dämonen
und zerren seinen Traum am Ziel vorbei
in einen Strudel wilder Bilder, von grauenhafter Barbarei.
Wenn es doch nichtig würde, dieses Grauen,
das Schaudern ungespürt, das Unerhörte nicht gehört,
wenn doch ein sanfter Schlaf ihn davon löste!

Frank Freimuth



Flutung

Er war zugegen, als der See sich füllte
und Fluten Weg und Bäume überrannten,
als Wasser schwappend Zweige bogen
um Enten, die dies lästig fanden.

Die Enten blieben, doch das andere starb
und mit ihm ging ein Gleichnis seiner Jugend:
die Spiele, das Verstecken, erste Küsse,
die Weiden, Erlen, Bänke, Haselnüsse.
Er fragte sich, was würde dies bewirken;
wo würde sein, was ihm das alles war.

Und immer weiter stieg die Flut
und deckte zu, was Mann und Kind verband,
bis schließlich nur das alte Stift verblieb,
das jetzt an einem Ufer stand.

Frank Freimuth



Die Fränkische Schweiz im Hochzeitskleid

Zunächst ein Rock aus Schlehensträuchern,
der eng verwoben vor mir lag,
als Oberteil dann Kirschenblüten
am nächsten, wolkenlosen Tag.

Ich weiß, wie leicht die Kirschenäste brechen,
dass Schlehen sauer sind
und ihre Dornen stechen,

dass diese Pracht nicht lange währt,
dass Regen kommen wird und dann
der kalte Schnee den Hang beschwert.

Und doch, trotz dieses Wissens,
sing ich gerne mit der Braut,
mitunter auch die alten Lieder,
allerdings nicht mehr so laut.

FF



Die Kreuzritter

Auf unseren Schwertern blitzte Gottes Name,
auf unseren Schildern blendete das Kreuz;
wir wollten jene Brüder reich beschenken,
die seinem Land und seinem Tod gedenken.
Wir streuten Furcht und Leid auf diesem Zug,
der Hauch des Munds war leider nicht genug.

Wir lassen heute unsere Schwerter ruhen
und statt der Schilder schützen Sonnenbrillen;
mit Mund und Händen kann man Gutes tun -
die Wahrheit in verstockte Köpfe pressen.
Wir tun es, denn er kommt nicht von allein,
der klare, schattenlose Sonnenschein.
Wie damals bringen wir oft Furcht und Leid,
doch gleich danach beginnt die gute Zeit.

Frank Freimuth



Die Frucht

Sie war verboten, diese Frucht, verboten
nicht wie die Ruhestörung oder falsches Parken,
nicht wie ein Brief und Päckchen ohne Marken;
nein, sie zu meiden war geboten
so wie ein Schweigen statt des freien Sprechens,
so wie Verstecken eines hässlichen Gebrechens.

Wie der Verheißung gedachte er der Frucht
und sie beherrschte sein Befinden;
sie war die ungestillte, gottgegebene Sucht -
und er, der Pilger, durfte sie nicht finden.

Jetzt ist er alt und dennoch ist die Frucht
so schön für ihn wie in den jungen Jahren;
sie ist noch da, doch ist sie nicht mehr Sucht
und wärmt ihn gütig unter grauen Haaren.

Frank Freimuth



Ein Kleid, das ich gern trüge

Es gibt ein Kleid, das ich gern trüge,
das mir so passt wie meine Haut;
ich trüge es, nur für uns beide,
von abends bis der Morgen graut.

Man sieht es nicht an allen Tagen,
hofft nicht, dass man's im Kaufhaus findet;
nicht jede würde es gern tragen,
weil es besondere Bande bindet.

Hab ich es erst für dich getragen
und trage dann mein Alltagskleid,
wirst du wie früher zu mir sagen:
"Wir sind ein Boot im Fluss der Zeit"?
Wirst du noch jeden Ton erhören,
wird mich mein Spiegelbild verstören?

Frank Freimuth



Er

Er war ein Einzelkind und Spielzeug seiner Mutter,
ein Legospiel, gemacht zum Schlösserbauen,
ein Teig aus Eiern, Zucker, Mehl und Butter ,
der sie erhebe in die Welt illustrer Frauen.

Ein guter Schüler, denn er kannte seine Pflichten,
die Lehre dann, Soldat, Gesundung, Ehemann,
geeicht, sie eifersüchtig zu besitzen,
denn dies ist, was der Schwache kann.
Er sprach zu ihr von ehelichen Pflichten
von Liebesschuld und Beischlaf dann und wann.

Wenn sich sein scharfer Geist durch Gitterstäbe wand,
war sie dem Hungrigen ein leichtes Futter;
doch später dann, als sie an Lethes Wasser stand,
umgab sie ihn als fahrig-grobe Mutter.

Sie

Ihr Gang war ruhelos, in klitzekleinen Schritten,
zog es sie hin zum Fenster und zurück;
am kleinen Nierentisch fand das Vergessen
zum sinnentleerten, desperaten Blick.

Als Mädchen war sie Vaters Lieblingskind,
denn sie war klug und schmiegsam wie ein Lamm,
mit fünfzehn las sie Goethes Faust,
sog Rilkes Verse ein wie nasser Schwamm.
Doch als dann kam, was sich als Liebe gab,
nahm sie das stille Unglück gleich zum Mann.

Er war der Hoffnungstrank der ausgedörrten Mutter
und die bestimmte, feindlich, ihre Pflicht;
sein Mut für sie war nur von kurzer Dauer,
er hielt sie fest, doch Liebe war es nicht.

Frank Freimuth





Wie dickes Glas

Wie dickes Glas, das jeden Schall verschluckt,
liegt dieses Schweigen zwischen ihnen,
und das Gewirr der Stimmen ringsumher
bedrängt ihn wie ein Schwarm von Bienen.

Zu kleinen Krümeln ist ihm schon zerbrochen,
was er sich wünschte, sie zu fragen,
davor ein Berg aus aufgestauten Worten,
zu hoch, um ihn noch abzutragen.

Er möchte gern ihr Innerstes erreichen
und schafft nicht mal das Stelldichein der Hände,
sein schwerer Mund lässt ihren Blick verstreichen
und zuckt, als ob er Worte für sie fände.
Ob dieses Glas noch irgendwann zerbricht?
Kann er vom Mund erzwingen, dass er spricht?

Frank Freimuth



Alte Freunde

Nur schwarzes Haar spricht noch von alten Zeiten,
als er ein unzähmbarer Hitzkopf war;
ich ließ mich oft von seinen Sprüngen leiten
und ob das gut war, war nicht immer klar.

Leg ich den Arm um ihn, geht's nicht um alte Stürme,
es ist ein Proben, ob das Leben dauert;
wir bauen keine hohen, dicken Türme,
es ist nicht so, dass uns vor Regung schauert.

Dass das, was war, nicht ganz vergangen ist,
dass wir noch fühlen, ist ein Trost;
auch wer sein Glück nicht mehr an Gipfeln misst,
braucht eine Hand, die ihn liebkost.

Frank Freimuth



Die Lesende

Dahingestreckt liegt sie wie Sultans Frau,
statt schwarzer Flut ist goldnes Haar zu sehen;
sie wippt, Grünbraun geschärft in Rahmengrau,

die nackten, rot lackierten Zehen.

Sie tastet sich zum nächsten Rätselwort

und hält dort inne, um es zu besinnen,
doch lässt ihr Halt an diesem Ort
mein schon Erhörtes schnell zerrinnen.

Obwohl nun Orpheus nicht mehr singt,
weil ihn die Ungewissheit plagt,
ist da ein anderes, das mir klingt,
das mir ganz wortlos etwas sagt.

Ich seh aus Füßen spitze Zungen ragen
so rot und heiß, wie Feuer ist,
und wie es sei, muss ich mich fragen,
wenn sie mit tausend Zungen küsst.

Frank Freimuth




Flüchtig

So wie ein langes Fest soll ihr der Herbst begegnen
und voller Gier saugt sie das Leben in die Lungen,
lässt sich vom Nektar locken wie ein Schmetterling,
trinkt gierig Huld von lobesvollen Zungen,
vergisst was war und schnell vorüberging.

Ist sie bei ihm, bringt sie die Welt zum Beben,
dann hält das Mühlrad nicht die Lust gefangen,
versperrt den Sinnen nicht die Wiederkehr;
dann fällt er tief und fühlt sich aufgefangen
und selbst Vergehen fürchtet er nicht mehr.

Der Falterflug ließ ihn schon oft,
doch oft auch nicht die Felder golden sehen,
so dass die Einsicht nüchtern zu ihm spricht,
nicht jeden Flug als letzten Flug zu sehen,
dass Rohr im Wind nur selten bricht,
dass dann und wann viel besser ist als nicht.

Frank Freimuth



Eindruck

So viele waren voll des Lobes über ihn,
dass er voll Kraft sei, einer von Statur,
dass er nicht bieder sei und auch nicht kompliziert,
ein Kind des Volkes, gänzlich unverfälscht,
und jeder leicht den Zugang zu ihm finde.

So war er auch, als wir dann vor ihm saßen,
er machte Eindruck, glänzte, wirkte imposant,
wenn auch mit zu viel Wärme, wie man fand,
und dann schlich sich ein kleiner, falscher Ton hinein -
Das Glas war viel zu groß für diesen kleinen Wein.

Frank Freimuth




Von Monstern und Engeln

Die Mutter nicht und auch der Vater nicht
sind ihm ein Schutz vor dieser Angst gewesen,
die ihm den Schlaf in vielen Nächten raubte
und die ihn seit der Kinderzeit begleitet.

Kann es denn Hilfe geben gegen Monster,
die lächeln können, warme Worte sprechen,
doch die nicht fühlen, und die,
um selbst zu wissen, wie das Fühlen geht,
die Fühlenden zu schlimmem Fühlen zwingen?

So sucht er nun nach klitzekleinen Monstern,
die ihm die Angst nur sehr gedämpft bereiten,
und lädt sie ein zu Tanz und Lustbarkeiten.
Er fühlt für kurze Zeit erträgliches Entsetzen
und kann den Wolf durch einen Hund ersetzen.

Ist es Verdrängung, ist es ein Wolkenbau,
das Walten hilfsbereiter Engel?
So mancher klagt, dass ihn ein Monster quäle
und baut an einem Rettungsring der Seele.

Frank Freimuth



Mengenlehre

Wie in der Riesenwoge treibend
fühlst du dich, Mensch, in einer Menge;
erfüllt vom rauschenden Getöse
fliegst du in Höhen fern der Enge.

Was sich entgegenstellt und widersetzt,
das reißt die Woge kraftvoll nieder;
hinweggefegt und dann zerfetzt,
erbaut man es danach nicht wieder.

Den, der mit der Woge schwimmt,
umhüllt sie wie ein Vlies aus Watte;
er nimmt die Richtung, die sie nimmt,
vergisst, dass er je Zweifel hatte,

und wenn er glücklich in ihr schwebt,
gab er sich hin, ist in ihr aufgegangen;
an dem, was von ihm übrig bleibt,
kann sich das Auge nicht verfangen.

Du, der du Teil der Menge bist,
hast aufgehört, dein Herr zu sein,
du tauschtest wachen Sinn in Rausch
und ließt die Nüchternen allein.

Frank Freimuth




Das Böse

Das Böse, so der Redner auf dem Pult,
das Böse sei dasselbe wie vor achtzig Jahren.
Er war kein Mensch, der Leere mit Effekten füllte,
und doch war mir, kaum war der Satz verklungen,
als ob ein dickes Tuch den Kern verhüllte.

Als dieses fiel, sah ich im Geist vor mir,
inmitten eines Meeres unbedarfter Kinder,
auf einer kleinen Insel rote Teufel tanzen,
mit Hörnern, Schwänzen und mit Dreizacklanzen,
und hörte eine Stimme rufen: "Sünder, Sünder, Sünder!"

Mir wurde schwindlig; ich verkrampfte mich,
doch offenbarte mir ein Blick nach oben,
dass ich in meiner Schwäche nicht alleine war,
denn auch der Redner hatte seinen Blick erhoben
und suchte hilflos das Wesen der Gefahr.

Frank Freimuth



Ermittlungsbericht

Es kam Empörung auf, weil sie bestohlen wurde. Noch unklar ist, was das Objekt des Diebstahls war. Der eine sagt, es sei die Würde, ein anderer meint, es sei ihr Tod gewesen, ihr Tod, ihr Leid und was zu diesem führte:

dass sie laut rief, als alle anderen schwiegen, dass sie verstand, was niemand sonst verstehen wollte, dass sie benannte, was sie sah. Sie sei entweiht, seit man sich ihr bediente, seit man behauptete, man sei wie sie.

So schön es wäre: man kann ihr Leid und Tod nicht nehmen. Nicht mehr, nicht jetzt, es ist geschehen. Und auch die Würde bleibt bei ihr. Wie sollten jene, die ohne Würde stehlen, sich denn in ihre kleiden können?

Was also haben sie genommen? Vielleicht Erkenntnis, was der Mensch vermag? Die Einsicht, dass das Grauen ausgeblieben wäre, wenn nur ihr Geist, ihr Herz, ihr Mut in allen lebte? Nichts davon, von alledem kein Gramm!

Wir wissen, bei den Dieben ist es nicht, dass diese nicht die wahren Schätze stahlen. Sie nahmen nur, für einen kurzen Augenblick, den Glanz des Namens, verzierten sich und was sie sagen wollten, schmückten das, was ohne Geltung war. Sie und ihr Erbe aber ruhen noch bei uns, geehrt, bewacht und tief verstaut in unsern Schränken.

Es ist noch ungeklärt, weshalb man sich empörte.


© Frank Freimuth


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